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Patagonien - chilenischer Teil
Viele Menschen wurden durch die Landschaft und Geschichte Patagoniens inspiriert, wie man anhand der zahlreichen Gedichte und Poesien sehen kann. Die Gedanken "Frente al amanecer" sind jedoch eindeutig melancholischer Natur; vermutlich beziehen sie sich auf die dunkle Geschichte Patagoniens: die Überwältigung und Ausrottung der Ureinwohner.
Soledad Vásquez: FRENTE AL AMANECER
Tus ojos pintan mariposas sobre el mar. Tus manos ensayan otros homicidios frente al amanecer más triste del mundo.
DEM SONNENAUFGANG GEGENÜBER
Deine Augen malen Schmetterlinge über dem Meer. Deine Hände versuchen weitere Tötungen dem Sonnenaufgang gegenüber, dem traurigsten der Welt.
Kurzinformation Patagonien
Keine andere Landschaft weckt so viele Gefuehle in freiheitsliebenden Naturliebhabern wie das wilde Patagonien: Der stürmische Wind, der die losen Blätter wegweht; die dunklen Wolken, die sich düster annähern und prasselnden Regen herablassen; die Sonnenstrahlen, die das Gebirge und die Lagunen erstrahlen lassen; der Schnee, der die Landschaft bedeckt. Der Wechsel all dieser Wetterphänomen ist innerhalb von wenigen Stunden möglich.
Patagonien weist eine Oberfläche von etwa 1 Mio. km² auf, davon gehören ungefähr 75% zu Argentinien und 25% zu Chile. Der größte Bereich des chilenischen Patagoniens gehört zur Región de Magallanes, deren Hauptstadt Punta Arenas ist. Punta Arenas gilt auch gleichzeitig als Hauptstadt des chilenischen Patagoniens.
Woher kommt der Name "Patagonien" eigentlich her? Man glaubt, der Ausdruck "Patagón" stamme von der Entdeckung der Ureinwohner, die aus Sichtweise der Spanier große Füße hatten. Mit der Zeit hat sich eine logische Interpretation durchgesetzt: der Begriff gehe von dem Giganten "Patagón" aus, eine Figur aus der Ritternovelle "Primaleón", deren Lektüre unter anderem der Generalkapitän Fernando de Magallanes genoss.
Beim ersten Anblick der Ureinwohner musste er automatisch an den Protagonisten der Novelle denken und Fernando de Magallanes nannte sie von da an "Patagones" und die Umgebung "Tierra de los Patagones" (Erde der Patagones). Oder kurz: Patagonien.
Punta Arenas
Punta Arenas, Spitze des Sandes - der Name mag irrtümlicherweise vermuten lassen, dass die Stadt in einem Meer von Sanddünen liegt; Tatsächlich aber werden die Wenigsten ihrer Einwohner und Besucher sich überwinden und ein Bad wagen: Zu kalt ist das Wasser, zu stürmisch ist der Wind in einer der südlichsten Städte der Welt.
Viele Leute behaupten, Punta Arenas sei die schönste Stadt der Welt; Wenn auch nicht jedermanns Sache, Punta Arenas ist mit Sicherheit eine sehr reizvolle und anschauliche Stadt in Chile, die eine wunderschöne Umgebung bietet.
In Punta Arenas stechen einige sehenswerte Bauten ins Auge, wie etwa das historische Museum "Palacio Sara Braun" oder die Plaza Muñoz Gamero, die in der Nähe liegt. Berühmter ist jedoch der Friedhof der Stadt, der laut den Einwohnern der schönste Friedhof Südamerikas sein soll. Zahlreiche Denkmäler, interessant gestaltete Gräber und hohe, zugeschnittene Buschbäume kennzeichnen den Friedhof. Wer genau hinschaut, wird hin und wieder Grabschriften erkennen, die nicht etwa in spanischer Sprache, sondern überraschenderweise in Englisch oder Deutsch formuliert wurden.
Charakteristisch für die Stadt ist die Sage des Indianerdenkmals: Wer den großen Zeh des Indianers küsst, wird früher oder später nach Punta Arenas zurückkehren. Das 9,5 m hohe Denkmal auf der Plaza de Armas erinnert an die Uhreinwohner, die Anfang 1900 von europäischen Einwanderern vertrieben und ausgerottet wurden. Interessant ist, dass unter ihnen viele Deutsche, Schweizer, Russen und Juden waren - heutzutage würden sich bestimmt nicht mehr so viele Menschen für eine Auswanderung an das wortwörtliche Ende der Welt entscheiden.
Heute trifft man auch auf Leute, die vom Feuerland stammen und auf Nachkommen britischer Einwanderer, die sich etwas außerhalb von Punta Arenas der Schafzucht widmen. Die Schafzucht ist typisch für die Gegend Punta Arenas und besonders für die südlichste Insel der Welt, dem Feuerland, und erinnert sehr an Schottland.
Wer die Möglichkeit hat, sollte einen Tag für Ausflüge in die Umgebung Punta Arenas nutzen. Ein überaus sehenswerter Ort ist das historische Museum Fuerte Bulnes, das eine Rekonstruktion und geschichtlicher Zeuge von dramatischen Ereignissen ist. Die Siedlung diente im Eroberungskampf als erste Verteidigungsfestung in der ganzen Umgebung. Ein paar Kilometer davon liegt der Puerto del hambre, der Hungerhafen. Der Name erinnert an den Kampf mit den Ureinwohnern, wo die Mehrheit der Siedler verhungerte. Weitere Namen in Südpatagonien, die meistens Fjorde bezeichnen, lassen ahnen, wie viele Seefahrer sich verirrt haben mussten, wie z.B. der Fjord "última esperanza" (letzte Hoffnung).
In der Nähe der Fuerte Bulnes ist ein kurioses Denkmal Chiles zu sehen, das (nicht ganz maßstabsgetreu) Punta Arenas als geographischen Mittelpunkt Chiles darstellt - unter Einbezug des kompletten Gebiets der chilenischen Antarktis, versteht sich.
Eine besondere Attraktion in der Gegend sind die Pinguinkolonien auf Seno Ortway oder der Insel Magdalena. Besonders auf der Insel sind viele Pinguine zu sehen, die sich zum Teil bis auf wenige Meter annähern; Auf der Insel ist ein Leuchtturm zu sehen, der im Jahre 1901 bereits konstruiert wurde. Beide Orte können über eine Tour gebucht werden; die meisten Pensionen haben dazu Informationen bereit liegen.
Tipps zu Punta Arenas
- Man kann nach Punta Arenas theoretisch auch mit dem Bus reisen, muss dafür aber mit mehreren Tagen für den Weg rechnen (eine direkte Reise durch Chile ist nicht möglich; man muss einen Umweg über Argentinien in Kauf nehmen); Am besten bucht man einen Flug von Santiago oder Puerto Montt nach Punta Arenas, z.B. mit LAN. Fliegen ist in Chile teurer als in Europa, mit etwas Antizipation ergattert man jedoch möglicherweise ein Angebot. Ab Puerto Montt fahren auch Fähren und Expeditionsschiffe nach Patagonien, die zum Teil aber saftige Preise haben.
- In Punta Arenas sollte man der Zona Franca einen Besuch abstatten. Die steuerfreie Zone ist mit einem Colectivo zu erreichen und bietet reihenweise Geschäfte, in denen man sich in vielerlei Hinsicht günstig eindecken kann: Viele High-Tech-Produkte, Haushaltsgeräte und - besonders für Unternehmungen in Patagonien interessant - Outdoor- Ausrüstung.
- Wer in Kürze nach dem Besuch Punta Arenas in den Nationalpark Torres del Paine aufbrechen möchte, sollte sich bereits in Punta Arenas mit Lebensmittel eindecken. In Puerto Natales, dem Städtchen, das dem Park am nächsten gelegen ist, kann man zwar auch einkaufen, hat aber weniger Auswahl und höhere Preise.
- Um nach Puerto Natales zu gelangen, sollte man mehrere Busunternehmen in Punta Arenas vergleichen (Die Pensionen kennen mit Sicherheit einige Unternehmen). Je nachdem gibt es Preisunterschiede und Angebote, z.B. für Kauf von Hin- und Rueckfahrt.
Puerto Natales
Puerto Natales ist ein nettes Städtchen, das sich als Zwischenaufenthalt für eine mehrtägige Tour durch den Nationalpark Torres del Paine hervorragend eignet. Ursprünglich lebten die Stämme der Kawesgar und Aonikenk in dem Gebiet, die jedoch wie in Punta Arenas von Einwanderern überwältigt wurden.
Puerto Natales befindet sich etwa 250 km nördlich von Punta Arenas. Die zugehörige Provinz ist die "Provincia de la última esperanza" (Provinz der letzten Hoffnung). Charakteristisch ist das zerklüftete Festland, an dem Puerto Natales liegt und von dem aus man eine wunderschöne Sicht auf gegenüberliegendes Gebirge hat. Ein Spaziergang an der Promenade entlang sollte man auf jeden Fall einmal gemacht haben. Allerdings muss man mit schnellem Wetterumschwung rechnen; von starkem Wind kann man nahezu immer ausgehen.
Von Puerto Natales aus sieht man den gewaltigen Cerro Dorotea, der für Kletterfreunde und für Naturliebhaber ein sehr schönes Ausflugsziel ist. Der Ort bietet sich nicht nur zum Klettern, sondern auch zum Wandern, Entspannen und Picknicken an. Etwa 120 km von Puerto Natales liegt die nun größte Herausforderung unserer Reise: Der Nationalpark Torres del Paine.
Torres del Paine
Jetzt gibt es nur noch die Natur, deinen Rucksack und Dich
Mit einer Größe von über 180.000 Hektar ist der Torres del Paine einer der größten Nationalparks Patagoniens und eines der Hauptziele von Touristen aus aller Welt. Man sieht Menschen jeden Alters - vom Kleinkind bis zu jung gebliebenen 70 - Jährigen.
Was macht den Torres del Paine so attraktiv, dass der Park jährlich mit steigenden Besucherzahlen zu kämpfen hat? Der außergewöhnliche Park, der 1978 von der UNSESCO zum "Reserve of the Biosphere" erklärt wurde, gibt uns einen breiten Einblick in das wilde Patagonien: Türkise bis tiefblaue Lagunen, karge Steppen bis tiefe Wälder, faszinierende Gebirgszüge, mächtige Gletscher, reißende Flüsse und stürmische Wetterverhältnisse charakterisieren den Park. Selten kann man Guanakos, Pumas, Graufüchse und Vogelarten beobachten.
Die bekanntesten Gebirge sind die Cuernos (Hörner) und die Torres (Türme), die jeweils drei Gebirgsspitzen haben: Die Nord-, Haupt- und Osthörner und die Süd-, Zentral- und Nordtürme - für die meisten ein wunderschöner Ausblick, für manche eine sportliche Herausforderung, wie für den kalifornischen Kletterer Steve Schneider, den ich in Puerto Natales kennen lernte. Der höchste Berg der Torres (3400 m), der Torres del Paine Central, wurde anscheinend 1963 zum ersten Mal erklommen.
Abenteuerlustige kommen weiterhin mit Rafting und Kayak fahren auf ihre Kosten - an dieser Stelle seien alle drei Aktivitäten allerdings nur sehr Erfahrenen empfohlen werden. Die extremen Wetterverhältnisse erschweren die Aktivitäten erheblich, die unter diesen Umständen sehr gefährlich sein können.
Die Routen
Viel sicherer und eine ausreichende Herausforderung sind die Wandertouren im Park. Die CONAF hat gut ausgeschilderte Wege angelegt, auf denen man zum Schutz der Natur bleiben sollte. Es gibt zwei vorgeschlagene Routen: den Circuito completo und das W. Der Circuito dauert etwa sieben Tage (Hartgesonnene laufen etwa zwölf Stunden oder mehr am Tag und schaffen ihn auch in fünf Tagen) und ist der anspruchsvollere Weg.
Das W ist ein Teil des Circuitos und nimmt etwa fünf Tage in Anspruch. Man hat die Möglichkeit, mit dem Boot zurückzukehren, oder die Rückkehr etwas auszuweiten, was ich in einem genaueren Bericht wiedergeben werde (siehe Die Route W - persoenliche Erlebnisse).
In beiden Fällen läuft man von einem Camp zum nächsten. Manchmal sind die Camps mit Hütten ausgestattet, in denen man sich aufwärmen, ausruhen und kochen kann. Manche dieser Camps bieten auch Übernachtungsmöglichkeiten in Refugios (kleine Hütten), die allerdings satte Preise haben.
In den Camps, in denen man keine Camping-Gebühr zahlt, hat man wenig Luxus zu erwarten: Manchmal gibt es eine kleine Informationshütte mit einem Mitglied der CONAF und eine kleine Toilettenhütte. Je nachdem ist auch ein windgeschützter Unterstand dabei.
Auf der Route des Circuito ist man gezwungen, hin und wieder in ein kostenpflichtiges Camp einzukehren; auf dem W hat man die Möglichkeit, immer in einem kostenfreien Camp zu übernachten. Dies ist an manchen Stellen überaus empfehlenswert, um die Routen in dem empfohlenen Zeitrahmen zu erlaufen. An anderen Stellen ist es weitaus weniger anstrengend, sein Gepäck im kostenpflichtigen Camp zu lassen und noch am selben Abend an den kostenfreien Camps vorbei zu einem Ausblick zu laufen (Camp. Chileno - Ausblick las Torres, Camp. Grey - Ausblick Glaciar Grey).
Die Route W - persönliche Erlebnisse
Endlich ist es soweit: Wir kommen am späten Vormittag im Torres del Paine an. Die Sonne scheint und mein Begleiter Sebastian und ich laufen los. Mein Rucksack mit 13 kg ist gewöhnungsbedürftig, bereitet mir aber noch keine Probleme. Beim Anstieg dagegen merke ich, dass ich kein bisschen für meine Kondition trainiert habe - vielen geht es jedoch genauso, die wir auf dem Weg kennenlernen. Nach zwei Stunden sehen wir das Campamento Chileno, was unser erster Zwischenstopp ist. Wir kochen mit Gas und Campingkocher Spaghetti mit Tomatensoße; bei mir macht sich schon erste Müdigkeit bemerkbar, aber es hilft nichts; wir sind noch nicht am Ziel. Beim Weiterlaufen haben wir das Gefühl, wir liefen durch den Schwarzwald: Wälder, Flüsse und ein paar Berge sind in der Ferne zu sehen. Am Zeltplatz des Campamentos Las Torres angekommen, schlagen wir erleichtert unser Zelt auf. Noch am selben Abend laufen wir weiter zum Ausblick "Las Torres", die leider total benebelt sind, was sie andererseits geheimnisvoll erscheinen lässt.
Die drei Bergspitzen sollen bei Sonnenaufgang ein wunderschöner Anblick sein; dazu sollte man gegen fünf Uhr morgens bereits aufstehen. Allerdings spielt das Wetter eine wichtige Rolle; bei Wolken und Niederschlag sieht man nicht viel.
Mir sagte der Regen, der gegen das Zelt schlug, dass ich besser weiterschlafen sollte und wir ziehen erst um neun Uhr wieder los. Mittlerweile schneit es und sorgt für weihnachtliche Stimmung, obwohl die Temperatur uns nicht frieren lässt. Am See Lago Nördenskjöld haben wir Rückenwind, der jedoch so stark ist, dass wir aufpassen müssen, nicht über die Steine nach vorne zu fallen. Die Stürme sind nicht zu unterschätzen; in Santiago lernte ich eine Frau kennen, die sich dadurch im Torres del Paine den Arm gebrochen hatte.
Vom "Schwarzwald" ist nicht mehr viel zu sehen: der Lago Nördenskjöld, dessen Name an Skandinavien erinnert, erstreckt sich weiträumig und die Umgebung weist Hügel und vorwiegend eine karge Vegetation auf.
Wir gelangen an einen großen Strom und erkennen, dass das Überqueren von Flüssen zur schwierigen Angelegenheit wird. Unsere bisherige Methode, über Steine ans andere Ufer zu kommen, ist hier zwecklos - der Wind (40 - 80 km/h) fegt einen weg. Ich wage mich in einem windstillen Moment barfuss durch den Fluss. Am anderen Ufer freue ich mich, das Vorhaben ohne große Schwierigkeiten gemeistert zu haben, plötzlich kommt ein heftiger Windstoß und ich fliege samt Rucksack zurück in den Fluss. Der Wind macht es unmöglich, aufzustehen! Sebastian ist so lieb und hilft mir, nachdem auch er eiligst den Fluss überquert hat. Dank des Windes trocknen meine Hose und Schuhe schnell, die Skepsis beim Überqueren weiterer Flüsse dagegen bleibt und wird nun jedes Mal zum kleinen Abenteuer.
Das Campamento Los Cuernos ist der nächste Aufenthalt - was für ein Luxus, ins Warme zu sitzen und etwas Heißes zu trinken! Viele Leute kochen hier, spielen Karten und ruhen aus. Die Versuchung, einfach hier zu bleiben liegt nahe; wir sind uns allerdings bewusst, dass wir dann am nächsten Tag umso mehr laufen müssten und machen uns wieder auf den Weg.
Abends kommen wir endlich beim Campamento Italiano an. Ich bin fix und fertig und habe einen Bärenhunger. Ich schlage das Zelt auf, während Sebastian das Kochen übernimmt und nach Schokolade quengelt "Für jeden km den wir heute gelaufen sind, möchte ich ein Stück Schokowaffel". Das wären allerdings viele Schokowaffeln...
Am dritten Tag stehen wir erst um zehn Uhr auf und können uns kaum bewegen. Ich fühle mich, als wäre ich 80 und stocksteif. Jede Bewegung, jeder Schritt schmerzt; nach ein paar Minuten Laufen bessert sich jedoch die Lage. Wir lassen unsere Sachen am Zeltplatz und unser Weg führt uns ins Valle Francés zu einem außergewöhnlichen Ausblick: Wir befinden uns auf einer Art natürlichen Plattform aus Felsen, blicken auf Wälder ringsum und sind von einer beeindruckenden Gebirgskette umgeben. Die Gebirgsfelsen haben derart interessante Formen und das ganze Ambiente zeigt einen derart ungewöhnlichen Kontrast, dass man für mehrere Momente einfach nur staunen kann.
Am vierten Tag kehrt Sebastian bereits vom Lago Pehoé zurück nach Puerto Natales. Viele Leute nutzen die Möglichkeit, nach dem Besuch des Glaciar Greys wieder zum Lago Pehoé zurückzukehren und von dort aus mit einem kleinen Schiff und mit dem Bus zum Ausgangspunkt, der Laguna Amarga, zu gelangen.
Mir bleiben ein paar Tage mehr; noch bin ich unschlüssig, wie lange ich genau bleiben werde. Um an mein heutiges Ziel, den Gletscher Grey zu kommen, fehlen mir noch 13 km. Ich lerne unterwegs einen Kanadier kennen und wir unterhalten uns, während wir die ersten 10 km zurücklegen. Die letzten 3 km sind jedoch die Hölle und lassen eine Unterhaltung nicht mehr zu; jeder Atemzug wird zum Energiegewinnen gebraucht. Ich kann kaum noch laufen, das Gewicht macht den Aufstieg nicht gerade leichter und ich möchte einfach nur ins Gras liegen und schlafen. Allerdings werde ich mich nicht mehr bewegen können, wenn ich mich einmal hinsetze…also motiviere ich mich permanent, mache kleine Pausen und denke Schritt für Schritt. Dass ich nun das gesamte Gepäck trage, Topf, Gas, Zelt und Essen eingeschlossen, macht die Sache nicht gerade leichter.
Der Anstieg ist ziemlich anstrengend, aber die plötzliche Sicht auf den Gletscher entschädigt uns: Erhaben liegt er vor uns, umgeben von Bergen, der Lagune und Wolken - er wirkt mächtig und doch still; Nach etwa zwei Stunden kommen wir endlich am Camp Los Guardas an, welches im Übrigen eine viel bessere Sicht auf den Gletscher bietet als das Camp Grey.
Nachts wache ich einmal auf und kann vor Kälte nicht mehr weiterschlafen. Ich suche nach Socken und allem möglichen, wo warm gibt. Beim Frühstück lerne ich ein Schweizer Paar kennen und erfahre, dass auch sie nachts gefroren haben. Immerhin hatte ich nicht alleine das Gefühl! Später ziehe ich zu einem wunderschönen Ausblick auf den Gletscher Grey - einer der Anblicke, die man nicht alle Tage hat. Hin und wieder sieht man, wie Eisstücke abbrechen und weg schwimmen. Ich mache es mir in einer mehr oder weniger windgeschützten Ecke bequem und genieße die Aussicht sowie die Ruhe.
Ich verbringe den Tag noch etwas weiter im Wald und ruhe mich aus, um für den sechsten Tag fit zu sein: 25 km stehen an. Die 13 km zurück zum Lago Pehoe strengen an.
Am Lago koche ich etwas (Spaghetti mit Tomatensoße) und schiele neidisch auf eine französische Familie, die Joghurt und süße Pfirsiche aus der Dose isst. Die Franzosen haben noch mehr Sachen auf den Tisch gepackt und ich bemerke irritiert, dass sie eine ganze Tube Senf und eine große Flasche Spülmittel mitgenommen haben - ich hätte nichts Überflüssigeres mitnehmen können!
Nach dem Essen mache ich mich auf zur nächsten Station. Noch ist es sonnig, was man ausnutzen muss. Ich habe noch nirgends einen so schnellen Wetterwechsel erlebt, wo man auf alles, wirklich auf alles, gefasst sein muss. Ich kehre nicht wie andere mit dem Boot zurück, sondern entschließe mich für eine Ausweitung meiner Wanderung Richtung Süden, was sich zudem günstig auf mein Budget auswirkt.
Der Weg zu meinem letzten Camp in der Nähe der Verwaltung der CONAF ist eben und mich umgibt eine Steppenlandschaft, wunderschön, aber auch sehr, sehr stürmisch. Ich habe wieder Rückenwind, muss aber trotz der Ebenheit sehr acht geben. Ich habe das Gefühl, total allein im Nichts unterwegs zu sein und überlege, ob ich überhaupt richtig laufe…eigentlich müsste ich das Camp mittlerweile sehen, aber es ist absolut nichts in Sicht und es ziehen immer mehr Wolken auf. Noch eine Stunde, dann suche ich mir einen mehr oder weniger windgeschützten Platz zum Schlafen und kehre am nächsten Tag um, sage ich mir. Nach 20 Minuten sehe ich ein WC und kurz darauf auch eine Schutzhütte, das Camp. Mir fällt ein Stein vom Herzen!
Das Camp ist verlassen, wahrscheinlich verirren sich nicht allzu viele Leute hierher…es ist etwas unheimlich, es zieht sich zu und der Wind pfeift um die Hütte. Nach einer halben Stunde kommt jedoch ein Paar aus Osteuropa an, ich fühle mich schon etwas sicherer als ganz allein. Wir schlafen auf den Holzbänken und dem Tisch der Hütte, ein Zeltaufbau ist bei dem Wind fast unmöglich.
Am Morgen sehe ich, dass jemand trotz Wind ein Zelt aufgebaut hat - um 22 Uhr rum sind bei strömenden Regen zwei amerikanische Mädchen eingetroffen, die auch in Valparaíso studiert haben. Wir laufen zu dritt zur Administration, dem letzten Ziel.
Am Ende reflektiere ich noch einmal die Tour. Alles in allem habe ich 114 km zu Fuß zurückgelegt. Würde ich es noch einmal machen? Die Anstiege, das Gewicht auf dem Rücken, Bäder im eisigen Gletscherbach, heftigster Muskelkater, je nachdem in Kälte schlafen, jeden Tag Pasta mit Tomatensoße essen und kaum Süßigkeiten für sechs Tage?
Ja, ich würde es jederzeit wieder auf mich nehmen. Eine Tour dieser Art ist ein unvergessliches Erlebnis: Es interessiert nicht, was man morgen anzieht, ob man unangenehme Telefongespräche erledigen muss oder mit was man sich beschäftigt. All das wird zur Nebensache; jetzt interessiert einen nur noch das Wetter, die Landschaft und dass man gut vorwärts kommt; Es ergeben sich Schwierigkeiten, mit denen man nicht gerechnet hätte, aber genauso erhält man Hilfe von unbekannten Menschen, genauso findet man Lösungen und man entwickelt Kräfte, mit denen man nicht gerechnet hätte.
Sonstige Tipps und Informationen
- Wer zur Weihnachtszeit unterwegs sein sollte und davor bzw. danach in einer Pension einkehren möchte, sollte diese im Voraus buchen. In dieser Zeit ist fast alles ausgebucht, wenn man spontan übernachten möchte.
- Um die Wanderung gut zu planen, sollte man eine Nacht in Puerto Natales einplanen. Die Stadt liegt dem Park am nächsten und man kann so Zeit sparen. Der Bus zum Nationalpark fährt morgens um 7.30 oder um 14.30 nachmittags. Man sollte auf jeden Fall um 7.30 aufbrechen; der Bus holt die Passagiere in dem Fall von der Unterkunft direkt ab. Wer erst um 14.30 aufbricht, verliert viel Zeit: Man sollte mit drei bis vier Stunden rechnen, bis man im Park endgültig angekommen ist und loslaufen kann.
- Eine Übernachtung in einem Backpackers Hostal in Puerto Natales ist die beste Übernachtungsmöglichkeit, um die Wanderung vorzubereiten. Die Inhaber kennen die Routen und verleihen Trekking - Ausrüstung, wie z.B. Zelt, Iso -Matte, Gas und Campingkocher. Zudem kriegt man wertvolle Tipps zur Wanderung, zu den Wetterverhältnissen etc.
- Manchmal variieren die Preise für den Bustransfer zum Park um ein paar Tausend Pesos. Man sollte in seinem Hostal nachfragen, ob es evt. Rabatt gibt.
- Man sollte sein Gepäck und besonders das Essen vor Aufbruch genau kalkulieren: Was ist wirklich nötig, was kann im Hostal bleiben (In den meisten Hostals kann man sein Gepäck bedenkenlos zwischenlagern und es bei Rückkehr wieder abholen)? Das Essen sollte man nicht ungefähr sondern genau einkaufen. Man kommt günstiger weg und hat eine breitere Auswahl, wenn man in Punta Arenas bereits einkauft. Wertvoll ist Nahrung, die relativ wenig wiegt, aber viel Energie gibt, wie z.B. trockene Früchte, Pasta, Honig, Käse, Schokolade. Eine sehr gute Idee ist Pulver, das mit Wasser gemischt einen guten Saft ergibt. Das Wasser im Park kann man bedenkenlos trinken.
- Man sollte erfahrene Leute, wie zum Beispiel die Pensionsinhaber fragen, wo es sich anbietet, seine Flaschen mit Wasser aufzufüllen und für welche Stellen man einen Vorrat mitnehmen sollte, da nicht überall Flüsse vorzufinden sind. Auf diese Weise kann man beträchtlich Gepäck sparen!
- Für das Campinggeschirr eignen sich kleine Steine und Dreck sehr gut zum Geschirrsäubern.
- Für kleine Notfälle sollte man auf jeden Fall eine kleine Apotheke dabei haben.
- Bei den extremen Wetterverhältnissen sollte man an alle auftretenden Witterungen denken und Sonnencreme (am besten Faktor 30 oder 45) sowie unbedingt Regenkleidung mitnehmen.
- Wer ein chilenisches Visum besitzt, sollte beim Parkeintritt seine "Cédula de identidad" vorzeigen. Man zahlt dann wie Chilenen etwa ein Drittel Eintrittspreises.
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Autor: Stefanie Kotulla; Copyright: Patrick Wagner, www.urlaube.info
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