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Chiles Bevölkerung
Besonders im Vergleich mit europäischen Ländern ist die chilenische Bevölkerung auf den ersten Blick wenig facettenreich - bei Anbetracht der Distanzen wenig verwunderlich. Und doch wird man beim genaueren Hinschauen bemerken, dass nicht nur die Einflüsse der Ureinwohner, sondern auch jene der Europäer zu finden sind.
Ureinwohner Mapuche
In Chile trifft man überraschenderweise selten auf "waschechte" Chilenen, deren Familien schon immer dort gelebt hatten, sondern viel mehr auf verschiedenste Nationen sowie Chilenen, die europäische Vorfahren haben. Natürlich ist bekannt, dass Chile nicht von Anfang an von Weißen besiedelt wurde und dass es "Ureinwohner" gegeben haben muss - und doch, wer waren eigentlich genau die Vorfahren, die auf der chilenischen 100$ - Münze zu sehen sind?
Wenn man die aktuelle Situation in Chile genauer beobachtet und Nachrichten schaut, bekommt man mit Sicherheit Meldungen über die Mapuche mit. Das Wort Mapuche bedeutet in ihrer Muttersprache Mapudungun soviel wie "Menschen der Erde". Der Süden, in dem die Mapuche am längsten verweilt haben und immer noch verweilen, ist von ihrem sprachlichen Einfluss sehr geprägt; so haben einige Gebiete und Flüsse Namen, die nicht im Geringsten spanisch klingen (z.B. Lago Llanquihue - llanqui = überschwemmt, hue = Ort -, Lago Pyuhue).
Manch einer wird sich nun die Frage stellen, warum die Ureinwohner in den Schlagzeilen anderer Länder Amerikas kaum, in Chile dagegen vergleichsweise häufig auftauchen. Der dafür verantwortliche Unterschied hebt die Mapuche genauso hervor, wie in ihrer Geschichte von allen anderen Urvölkern Amerikas: ihr harter und erfolgreicher Widerstand gegen die Überwältigung der Weißen; Nach dem Einmarsch der Spanier im Jahr 1541 wurde aufgrund der hartnäckigen und erfolgreichen Gegenwehr der Mapuche 1641 der "Vertrag von Killin" abgeschlossen, welcher den Mapuche Gebiete im Süden zusicherte und sie als autonome Nation anerkannte - ein Ereignis, das kein anderes indigenes Volk Südamerikas in gleicher Form erreichen konnte.
Trotz des Gesetzes wurden die Mapuche zunehmend durch deutsche Kolonien in den Süden gedrängt, wenn auch diese Verdrängung nicht so stark und einschneidend war wie die Zwangsverschleppung vieler Mapuche zwischen 1860 und 1885 oder Pinochets Ausspruch "Es gibt keine Ureinwohner - Wir sind alle Chilenen". Daraufhin wurden den Mapuche langsam, aber immer weitergehend Rechte aberkannt; die Diskriminierung stieg und ist heute noch zu spüren.
Viele Mapuche - die sich nicht als Chilenen sehen - weigern sich, die chilenische bzw. ursprünglich europäische Lebensform anzunehmen und möchten ihre Kultur beibehalten. Charakteristisch ist dabei besonders die Silberschmiedkunst. Es ist offensichtlich, dass jene Mapuche damit auch bei ihrer einfachen Lebensform bleiben und ihren beruflichen Weg nicht in der chilenischen Wirtschaft finden werden, was zwar die Beibehaltung ihrer Traditionen, oft aber auch Armut bedeutet. Aufgrund der relativ starken Bevölkerungszahl (in Chile derzeit ca. 603.000) wandern jedoch viele Mapuche in die größeren Städte ab (Santiago, Valparaíso, ...).
Trotz der leisen, aber bleibenden Unterdrückung lassen sich die Mapuche nicht unterkriegen und unternehmen immer wieder radikale Protestaktionen, weswegen sie von manchen Bevölkerungsteilen als "äußerst aggressiv und gefährlich" angesehen werden, von wenigen, anderen Gruppen dagegen geschätzt werden. Denn leider werden die Mapuche (noch) nicht vom Staat so anerkannt und gefördert, wie es sein sollte. Die hartnäckigen Mapuche haben jedoch einen anderen Weg gefunden, um sich zu erhalten und ihr Ansehen zu verbreiten: den steigenden EthnoTourismus. Touristen können in den typischen Ruka (Häuser aus Holz und Lehm) oder in Zelten schlafen und die Lebensform der Mapuche hautnah miterleben - eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Auf den Spuren der Deutschen in Südchile
Zwischen Chile (Santiago) und Deutschland (Frankfurt) liegen rund 12300 km - eine beträchtliche Distanz. Umso größer ist die Überraschung, den deutschen Einfluss zu sehen, der sich über etliche Generationen hinweg erhalten hat, was sich in Straßen- und Familiennamen, Kultur sowie Institutionen widerspiegelt. Doch wie kam es dazu?
Die erste große Einwanderungswelle nach Chile begann nach der Revolution um 1850. Charakteristisch für die damalige Situation waren kritische politische Verhältnisse (gescheiterte Revolution), Missernten und eine wirtschaftliche Krise, welche sich besonders auf die Heimwerkerindustrie sowie auf die Landwirtschaft auswirkte. Düstere Zukunftserwartungen waren die Folge, Besserung war nicht in Sicht und der Gedanke an einen Neuanfang an einem anderen Ort reifte immer mehr. Zur gleichen Zeit entdeckte der deutsche Forscher und Seemann Bernhard Phillipi wirtschaftlich kaum genutzte und dünn bewohnte Gebiete in Südchile und ihm kam die Idee, diese Gebiete mittels deutscher Kolonien zu nutzen.
Interessant ist die organisierte Planung der Kolonisation mittels Kolonistengesetz (1845) und Kolonistenplan, mit dessen Hilfe die Idee konkretisiert wurde: Für die Gegenden Valdivia, Osorno und Llanquihue sollten europäische Einwanderer angeworben werden, was unter anderem durch Zeitungsannoncen geschah. Ziel war es, die Bevölkerungsdichte zu steigern und - wie schon erwähnt - den Landstrich industriell und landwirtschaftlich nutzbar zu machen. Diese Koordinierung und Unterstützung (u. a. durch Startkapital, Land und Gütern) hatte einen bedeutenden Einfluss auf Chile als Wahl des Auswanderungslandes, da das Vorhaben somit bedeutend vereinfacht wurde und realisierbar erschien.
Der Aussicht auf einen Neuanfang und den nutzbaren Ressourcen ist es zu verdanken, dass mittels der neu gewonnen Motivation, Kreativität und dem Leistungswillen der Deutschen ein bedeutender Aufschwung einsetzte: Es wurden Schulen und Vereine (Deutsche Feuerwehr, Sportvereine) gegründet, der Handel gewann an Bedeutung.
Auch heute noch handelt es sich um wirtschaftlich bedeutendes Gebiet. Durch die Eisenbahnverbindung im Jahre 1913 wurden die Bindungen zu Zentralchile verstärkt: Besonders die städtischen jungen Leute unter den Einwanderern passten sich vermehrt den Chilenen an und erkannten die Chance, die sich ihnen bot, wenn sie dem Spanischen mächtig wären. Auf dem Land dagegen wurde die spanische Sprache zum Teil "eingedeutscht"; man sprach z.B. von "vacken letschen" (Kühle melken) und konnte somit auch den "false friends" nicht entgehen, wenn sich spanische und deutsche Wörter zwar ähnlich anhören, aber etwas ganz andere Bedeutung haben. Mit der Zeit gewann jedoch das Spanische die Oberhand, lediglich einige deutsche Wörter wie z.B. Kinder, Kuchen, Strudel und kaputt sind geblieben und werden in vielen Regionen gebraucht.
Die deutschen Wurzeln schienen somit immer weiter weg - der deutsche Einfluss ist jedoch, wie bereits erwähnt, immer noch zu spüren. Nicht nur die Architektur, auch Straßennamen, Pensionen ("Ellenhaus") und vereinzelt deutsche Geschäfte, wie z.B. deutsche Bäckereien, lassen einen stutzen. Besonders häufig sieht man deutsche Optiker ("óptico alemán") und deutsche Kliniken, die jedoch nur noch den Namen beibehalten haben.
Bemerkenswert sind die vielen deutschen Schulen und Institute (Goethe-Institut in Santiago, Viña del Mar), an denen die deutsche Sprache gelehrt wird; Auch wenn die deutsche Sprache allgemein als schwierig gilt und mit romanischen Sprachen nichts gemeinsam hat, sehen viele Chilenen Deutsch als Chance für ihren beruflichen Werdegang und entscheiden sich für einen Austausch während des Studiums.
Und was für ein Bild haben Chilenen von den Deutschen und ihrem Land? Wahrscheinlich sind die Deutschen in allen Ländern als ein puenktliches, zuverlässiges Volk bekannt, das voller Tatendrang bereit ist, Leistung zu bringen. Besonders die Wirtschaft und Technologie sind hoch angesehen. Allerdings ist es auch für den Hang zum Perfektionismus berühmt, was von den entspannten Südländern als störend empfunden werden kann (auch wenn Chilenen als die "Preußen Südamerikas" gelten); Was mich besonders erstaunt hat, war die Tatsache, dass bei manchen Chilenen Deutschland immer noch in erster Linie mit dem zweiten Weltkrieg und Rassismus in Verbindung gebracht wird, was aber meiner Meinung nach an der unzureichenden Kenntnis über die letzten Jahre Deutschlands liegt. Als letzten Punkt nenne ich einen Aspekt, der mit Abstand am häufigsten zur Sprache kam: Die Begeisterung für deutschen Kuchen (man findet sogar die Schwarzwälder Kirschtorte in den Konditoreien), Apfelstrudel und natürlich das deutsche Bier, weswegen in Chile jedes Jahr das Oktoberfest mit höchster Freude gefeiert wird.
Die heutige Sprache: Spanisch oder Chilenisch?
Die offizielle Landessprache ist Spanisch, aufgrund der vielen Dialekte (Catalán, Gallego,…) von vielen als Castellano bezeichnet. Wer jedoch verschiedene, spanischsprachige Länder bereist hat, wird merken, dass die Sprache besonders zwischen Spanien und Südamerika, jedoch auch innerhalb Südamerika große Unterschiede aufweist, so auch in Chile. Dies macht sich in der Aussprache (so wird z.B. das s am Ende eines Wortes häufig weggelassen, die Endung -ado wird zu -ao usw.) jedoch auch im Vokabular bemerkbar: Man bemerkt die Tendenz zum "Spenglish", oder in anderen Worten den häufigen Gebrauch angelsächsischer Wörter, wie z.B. Living statt sala de estar, closet statt armario, usw.
Besonders charakteristisch jedoch sind zum einen der so genannte "disminutivo" - die Verkleinerung und Verniedlichung der Wörter, z.B. "pancito"/Brötchen statt "pan"/Brot - sowie die Wörter indianischen Ursprungs und spezifische, chilenische Ausdrücke, die in keinem anderen Land angewandt werden.
Die chilenische Mentalität
Auch wenn Chilenen als die "Preußen Südamerikas" gelten und mancher Chilene Vorhaben eisern durchzieht (z.B. bis nachts um 3 die Wohnung zu renovieren) - am Anfang ging ich davon aus, dass Chilenen das typische Image der Latinos erfüllen: Etwas faul, fast immer gut gelaunt, offen für alles, schrecklich langsam, chaotisch… überraschenderweise stimmt es nur zum Teil. Das mit chaotisch und gewissermaßen unzuverlässig trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu. Fast alle Chilenen (Ausnahmen bestätigen die Regel) kommen immer zu spät; man sollte bei Verabredungen einen großzügigen Zeitrahmen einplanen. 15 Minuten Verspätung sind normal; Ein Freund hatte mir jedoch einmal frustriert berichtet, dass sein Lernpartner ca. 5 Stunden zu spät kam und sich dann wunderte, dass die Kommilitonen schon angefangen hatten. Weiterhin muss eine nicht mit Datum und Uhrzeit konkretisierte Verabredung nicht ernst gemeint sein; es empfiehlt sich auf jeden Fall, vorher noch einmal nachzuhaken.
Allgemein gesagt wirkt mancher Chilene überaus gemütlich und scheint jeden Stress vermeiden zu wollen. Dies lässt sich auf mehrere Situationen übertragen; so erinnere ich mich an die Zeit meiner Betreuung von ausländischen Kommilitonen: der erste Chilene, den ich an der Uni in Deutschland betreut hatte, erzählte mir einmal, dass er einen Kurs fast nie besucht habe, weil er um 8 Uhr morgens stattgefunden und es im Winter oft geregnet habe. Da habe er lieber weiter geschlafen. Zuhause wird die Ehefrau bzw. Mutter öfters gebeten, ihrem Mann und Kindern das Frühstück ans Bett zu bringen. Das Familienleben ist sehr ausgeprägt; oft wird gemeinsam gegessen und man tauscht sich über das Leben der anderen Familienmitglieder aus.
Sehr positive Erfahrungen habe ich mit der Hilfsbereitschaft mancher Leute gemacht - egal, ob es um Unterkunft, Verpflegung, Toilettensuche oder um das Ausleihen von Trekkingausrüstung ging; in Deutschland wäre es kaum so gewesen. Auf die Pflege des sozialen Netzes wird allgemein sehr viel Wert gelegt, was sich auch in der Gesellschaft und in der Berufswelt widerspiegelt: Es kann unter Umständen von hoher Bedeutung sein, wer wen woher kennt. Die Sichtweise, für eine Erweiterung seines Bekannten- und Freundeskreis sehr offen zu sein, mag ein Grund dafür sein, dass sich in Chile (je nach Region) allein schon die Begrüßung Unbekannter von der "deutschen" Begrüßung unterscheidet. Jeder wird mit Handschlag bzw. Küsschen begrüßt, auch wenn man sich noch überhaupt nicht kennt. Das trifft auch auf Bekannte und Eltern von Freunden, Vermieter und sogar auf Vorgesetzte beim Vorstellungsgespräch zu.
Der erste Kontakt ist hier ziemlich einfach, wenn man offen auf die Leute zugeht und sie etwas mit Fragen löchert. Chilenen fragen fast immer "Und, gefällt dir Chile?", "Woher kommst du?" und oft stellt sich heraus, dass sie Verwandte oder Bekannte haben, die aus derselben Gegend stammen oder dort gereist sind. Situationen wie die eben geschilderte wirken ziemlich paradox, wenn man dann auf sehr schüchterne Chilenen trifft - eine Tatsache, mit der ich überhaupt nicht gerechnet hatte.
Untereinander sind die meisten Chilenen sehr aktiv und lachen so laut, dass man es bis ans Ende der Straße hört; wenn sie nicht gerade in einer Gruppe sind, kann es allerdings vorkommen, dass sie schüchtern und still wirken. Dies spiegelt sich nicht nur im Verhalten, sondern auch allgemein im Sprachgebrauch wieder (Disminutivo), was in keinem anderen Land in der gleichen Form zu hören ist.
Viele Chilenen würden gerne nach Europa gehen (zum Teil auch in die USA, aber das Bild bezüglich der USA ist weniger positiv) und es ist interessant zu sehen, wie Chilenen gegenüber Europäern auftreten und wie sehr sich ihr Verhalten gegenüber anderen Nationen Südamerikas, z.B. Bolivien ändert.
Wie bereits erwähnt, kann ein Chilene sehr aufgeschlossen, aber auch sehr schüchtern auf einen Europäer reagieren - auf Menschen einer Nation, gegenüber der Chile wirtschaftlich jedoch besser gestellt ist, wird er fast immer patriotisch und selbstbewusst reagieren, weswegen Chilenen sogar selbst zugeben, etwas diskriminierend zu sein. Sehr auffallend ist die chilenische Höflichkeit. Man bedankt sich für alles (auch wenn es genau genommen keinen Grund dafür gibt) und fällt nie mit der Tuer ins Haus: Gespräche laufen auf harmonischer Ebene ab; in Situationen mit Konfliktpotential wird selten offen gesagt, was man wirklich denkt.
Der chilenische Lebensstandard
Im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern bietet Chile sicherlich einen der höchsten Lebensstandards. Allerdings kann man das nicht pauschal beurteilen, sondern muss - wie bei fast allen Themen, sei es Kultur, Temperatur oder Landschaft - nach Zonen unterscheiden.
Besonders das Klima und die natürlichen Gegebenheiten haben Einfluss auf den Lebensstandard: Auch wenn der Norden durch das Kupfervorkommen sehr bedeutend ist und der Süden Chiles jedes Jahr eine hohe Anzahl von Aktivurlaubern anzieht und beide Zonen somit einen erheblichen Teil der Einnahmequelle des Landes darstellen - das Leben ist signifikant teurer und schwieriger als in der Zentralzone; Generell gilt die Regel "Je umständlicher der Zugang bzw. Transportweg und je weiter weg von Santiago, desto tiefer muss man in die Tasche greifen".Aus diesem Grund ist die Zentralzone die Gegend mit der höchsten Bevölkerungsdichte, wohingegen man in anderen Landstrichen weit und breit kein einziges Haus sieht.
Die Zentralzone ist, auch mit europäischen Standards verglichen, von äußerst hohem Niveau; viele Güter sind günstiger (z.B. Schuhe, Fleisch, Obst/Gemüse), Exotenprodukte und importierte Waren (Elektronik, High-Tech- und spezielle Sportprodukte) haben jedoch ihren Preis. Die chilenischen Einkommens- und Lebensverhältnisse sind durch eine Kluft zwischen Arm und Reich charakterisiert: Es gibt Leute, die bedeutende Gebiete besitzen und an Firmen vermieten, eine Villa mit Swimming-pool als normal ansehen und Flugscheine für Hubschrauber wie einen gewöhnlichen Führerschein aufweisen. Es gibt Leute, die zur Mittelschicht gehören und sich keinen außergewöhnlichen Luxus leisten, aber ein solides Berufsleben und einen guten Lebensstandard haben. Und es gibt Leute, die ihr Geld mit dem kaum rentablen Eisverkauf in den so genannten "Micros" (die Busse in der Stadt) oder als Busfahrer mit einem 16h - Arbeitstag verdienen, die unter extremer Armut leiden und ihre Kinder nicht in private, sondern nur in öffentliche Schulen schicken können - von Universitäten ganz zu schweigen.
Das Bildungssystem ist weitestgehend privatisiert; wer dazu gezwungen ist, auf öffentliche, günstige Bildung zurückzugreifen, muss eine unzureichende Ausbildung und damit wesentlich schlechtere Berufschancen in Kauf nehmen. Dies hat wiederum die Konsequenz, auch seinen eigenen, künftigen Kindern den gleichen Weg nicht ersparen zu können.
Zwar gibt es Stipendien vom Staat, die jedoch bei weitem nicht ausreichend sind. Mit dieser Hilfe werden die Ärmsten unterstützt. Die Leidtragenden jedoch, das sind diejenigen, welche die Unterstützung knapp verfehlen. Ein Universitätsabschluss mit Schulden ist die Folge, wenn sich die jungen Leute überhaupt zu diesem Schritt motivieren können.
Im Angesicht dieser Situation habe ich unwillkürlich die damalige Lage Deutschlands bezüglich der Studiengebühren verglichen. Der große Unterschied zu Chile ist jedoch, dass in Deutschland trotz der Gebühren ein Studium für die übergroße Mehrheit möglich ist; in Chile dagegen bedeutend schwieriger, weil das Einkommensniveau deutlich geringer, die Kosten für Bildung jedoch viel höher liegen. Somit bleiben viele Potentiale ungefördert, was eine erfolgreiche Entwicklung des Landes signifikant hemmt. Die Bildungspolitik steht allerdings kritisch im Fokus, so dass Änderungen zum Positiven erfolgen könnten.
Mythen und Legenden im Süden
Inseln, vernebelte Küsten, geheimnisvolle Wälder - der Süden Chiles scheint wie geschaffen für die zahlreichen Mythen und Legenden, von denen das Land umgeben wird. Viele südliche und relativ dünn besiedelte Gebiete, mitunter die Insel Chiloé, haben die Phantasie angeregt. Im Folgenden werde ich zwei Sagen kurz wiedergeben.
Eine besonders schöne Sage ist jene des Geisterschiffs Caleuche. Man erzählt sich, dass dieses nachts um die Insel Chiloé segle und als schönes Segelschiff erscheine, jedoch schnell wieder verschwinde. Auf dem Schiff solle eine ausgelassene Feststimmung herrschen. Der Legende zufolge solle das Schiff von Ertrunkenen besetzt sein. Besondere Erwähnung finden drei mythische Wesen: die Schwestern Sirena chilota und Pincoya (eine Art Meerjungfrauen) sowie deren Bruder Pincoy, welche ertrunkene Menschen zum Schiff bringen. Manche glauben, dass die Caleuche Schiffen in Not hilft, andere sagen dass einmal jährlich die ertrunkene Crew zu ihren Familien zurückkehrt.
Auch das Festland der Insel findet mit seinen vielen Wäldern in der Sagenwelt Erwähnung: Hier ist laut Erzählungen der Trauco zuhause, ein mythisches Wesen, das eine magische Anziehungskraft auf junge Frauen ausübe. Auserwählte Personen könnten sich dem Trauco nicht entziehen, zumal er nicht in seiner wahren Erscheinungsform, sondern als Priester oder wohlhabender Gutsherr getarnt auftauche. Die Legende des Traucos diente oft der Erklärung für unverheiratete, schwangere Frauen.
Der 18. September - ein Feiertag wie kein anderer
Chiles wichtigster Feiertag ist der Nationalfeiertag am 18. September, an dem Chile einst seine Unabhängigkeit gegenüber Spanien erklärte; Auch heute noch wird der 18. September derart enthusiastisch gefeiert, dass die Feste erst am Tag darauf zu Ende gehen.Beim Anblick der zahlreichen Nationalflaggen, die bereits ein paar Tage vor Festbeginn aufgehängt werden, kann man kaum glauben, dass der Nationalstolz beim Treffen auf andere Kulturen abrupt sinken kann.
Bereits mehrere Tage vor Festbeginn schmücken zahlreiche Nationalflaggen die Straßen, man sieht festlich gekleidete Chilenen bei den Proben für den Cueca (den chilenischen Nationaltanz), die Vorbereitungen für Straßenfeste beginnen.
Am Festtag selbst ist Grillen mit der Familie oder mit Freunden so selbstverständlich wie das morgendliche Aufstehen. Schwierig, aber nicht unmöglich ist die Teilnahme am Fest als Vegetarier: Zwar sind das "Choripan" - ein Brötchen mit gegrillter Wurst, der Chorizo - und ein Steak fast obligatorisch, jedoch werden meist auch Salate und der beliebte Pebre angeboten. Bei dem Pebre handelt es sich um eine Art pikante Soße, die Tomaten- und feine Zwiebelwürfel, Ají (grüne Chilischote) und viele Kräuter enthält.
Es wird jedoch nicht nur im eigenen Garten, sondern auch auf Jahrmärkten und Stadtfesten gefeiert, typisch chilenische Musik gehört und getanzt. Häufig sieht man die Aufführung des bereits erwähnten Cuecas, der auch in vielen Fernsehprogrammen gezeigt wird. Der Cueca ist ein Paartanz, bei dem traditionelle Kleidung getragen wird. Der Mann wirkt mit dem Cowboyhut, Stiefeln, Sporen und Poncho wie ein Präriescout, wohingegen die Frau ein feminines Kleid trägt.
Auf den Jahrmärkten findet man auch weiterhin Kulinarisches: anticucho (Fleischspieße), Pastel de choclo (Eine Art Auflauf mit Mais und je nachdem Fleisch) und Empanadas (gefüllte und gebackene Teigtaschen), reichlich Bier, Chicha und den beliebten PiscoSour (Traubenschnaps mit Limetten- und Zuckerzusätzen).
Essen und Trinken - einheimische Spezialitäten
Diese traditionellen Mahlzeiten sind nicht nur an den Festtagen, sondern auch generell sehr beliebt. Empanadas und Completos (Hotdogs, die neben der Wurst noch Avocado-Mus und viel Ketchup sowie Mayonnaise enthalten) sind in Fastfood - Läden Spitzenreiter. In Restaurants hingegen werden - je nach Region - aufwendige Gerichte mit viel Fleisch und Fisch sowie Meeresfrüchte angeboten. In ländlichen Gebieten findet man meist kleine Gaststätten, in denen einfach, aber gut und traditionell gespeist wird. Die herzlichen Wirte versorgen die Ankömmlinge ausgezeichnet und häufig sieht man immer wieder dieselben Stammgäste aus dem Dorf.
In jenen Gegenden, besonders aber im niederschlagsreichen Süden, wird man bei Regenwetter höchstwahrscheinlich auf einen interessanten Brauch stoßen: dem Verzehr von Sopaipillas. Dabei handelt es sich um brotähnliche und frittierte Teigstücke, welche kleine Kürbisstückchen enthalten, deren Genuss man auf jeden Fall ausprobieren sollte. Je nach Geschmack werden sie mit Apfelmus oder deftig mit Pebre zu sich genommen.
Eine in manchen Gebieten verbreitete und durchaus gewöhnungsbedürftige Tradition ist der Verzehr von Meeresfrüchten an Neujahr gegen 7 Uhr morgens. Angeblich soll der mit Alkohol angeschlagene Magen dadurch erleichtert werden, allerdings haben Meeresfrüchte bekanntlich einen nicht immer beliebten Eigengeschmack, so dass sich manch einer auf andere Art erleichtern könnte.
Dieses Ritual wird meist von Jugendlichen ausgelebt, die auch weitere Sitten haben, welche nicht immer auf Begeisterung stoßen, so zum Beispiel der Mechoneo. Die Erstsemestler einer Universität werden dabei auf eine besondere Art begrüßt: Die Neuankömmlinge werden mit rohen Eiern, Senf, Mehl und weiterem beworfen, während ihnen von ihren Vorgängern die Rucksaecke gestohlen werden, die sie durch erbetteltes Geld wieder erlangen. Mit dem Geld wird am Schluss zusammen mit dem anderen Jahrgang ein Fest gemacht, um die Begrüßung friedlich abzuschließen. Die Neuen jedoch schwören sich der Versöhnung zum Trotz, mit ihren Nachfolgern mindestens genauso schlimm umzugehen.
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Autor: Stefanie Kotulla; Copyright: Patrick Wagner, www.urlaube.info
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