Hurtigruten Tag 8: Mehamm - Honningsvag - Hammerfest - Öksfjord - Tromsö
Im Vorfeld dieses Hurtigrutentages muss in den Monaten Mai bis September der Passagier eine schwierige Entscheidung treffen. Dem unentschlossenen bleibt nur die Münze. Kopf oder Zahl! Entweder in Honningsvag früh aus den Federn, um auf dem Nordkap-Plateau ein besonderes Frühstück zu erleben, bevor es mit dem Bus in Richtung Süden, den mächtigen Porsangerfjord entlang, nach Hammerfest geht. Oder an Bord bleiben, zu einer vernünftigen Zeit aufstehen, wie gewohnt in aller Ruhe frühstücken und sich beim Betrachten der Küstenlandschaft auf die Ankunft in Hammerfest freuen.
So oder so, es wird wieder ein schöner und interessanter Tag, der um Mitternacht mit dem Einlaufen in den Hafen von Trömsö endet. Mehamn und Köllefjord liegen bereits hinter der Hurtigrute, wenn diese um 7:00 Uhr in Honningsvag ablegt. Nach Durchfahren des Mageröysundes bleibt Mageröy, die Nordkapinsel, am Heck des Schiffes zurück. Zielstrebig nähert sich der Schnelldampfer Havösund. Nur kurz wird am Kai festgemacht, Hammerfest wartet!
Nun sollte man einen prüfenden Blick auf seine Foto- oder Videoausrüstung werfen. Denn nach Havösund ist vor einer schönen Hintergrundkulisse, die Begegnung mit der "Nordgehenden" zu erwarten. Zur Sommerzeit schadet es nicht, wenn man sich an Deck rechtzeitig (backbords) ein Plätzchen sichert, damit einem später niemand vor der Linse steht.
Danach, mit nunmehr wieder südlichem Kurs, Einfahrt in den Rolvsösund. Nach Verlassen des Sundes ruecken im Süden die beiden Inseln Söröya und Kvalöya näher. Kvalöyas Nordspitze wird auf der Backbordseite umfahren und kurze Zeit später nimmt die Hurtigrute Kurs auf die weitgeschwungene Bucht von Hammerfest. Die ersten Häuser tauchen auf, der Schnelldampfer macht sich lautstark bemerkbar und belegt über die Mittagszeit seinen angestammten Platz im Hafen.
Nun sind wir also in der nördlichsten Stadt der Welt. Mit 70°39''48' auf demselben Breitengrad wie die nördlichsten Gebiete Sibiriens, der Mitte Grönlands oder dem nördlichsten Punkt Alaskas. Entlang dieser imaginären Linie steigen selbst im Sommer die Temperaturen kaum über den Gefrierpunkt.
Hier aber sorgt das Naturwunder Golfstrom für ein angenehmes Klima. Die Schifffahrtsruten und Häfen sind das ganze Jahr über eisfrei, im Sommer blühen in den Gärten Blumen. Restaurants und Kneipen haben Sitzgelegenheiten im Freien. Auch Eisdielen brauchen sich über mangelnde Kundschaft nicht zu beklagen. Hier erlebt man vom 17. Mai bis zum 28. Juli einen einzigen langen Sommertag. Einziger Nachteil, vom 21. November bis zum 23. Januar kommt die Sonne nicht über den Horizont.
Schon viele Jahrhunderte lang war Hammerfest Handelsplatz gewesen, bevor es 1789 Stadtrechte erwarb. Niemand, der sich damals in der Stadt niederließ musste Steuern zahlen, dennoch hatte die junge Stadt zunächst nur 40 Einwohner. Zwei Jahrzehnte später war die Einwohnerzahl auf 350 gestiegen. Die Ausrüstung von Walfang- und Spitzbergen - Expeditionen, der Handel mit Russland, Tourismus und Nordkapfahrten, der Aufbau einer Trawlerflotte für die wachsende Fischereiindustrie sowie die Öl- und Gasvorkommen im nördlichen Eismeer und der Barentssee ließen im Laufe der Jahrzehnte die Einwohnerzahlen kräftig steigen. Heute leben 8.000 Menschen in der Stadt.
1891 erhielt Hammerfest als eine der ersten Städte Europas und als erste Stadt Norwegens ein Elektrizitätswerk und eine elektrische Straßenbeleuchtung. Historische Straßenlaternen und Gebäude wird man allerdings auch in Hammerfest vergeblich suchen. Im Oktober 1944 mussten die Bewohner ihre Stadt verlassen. In der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1945 wurde dann die gesamte Holzhäuserstadt in kürzester Zeit durch ein Feuer vollkommen zerstört.
Die Stadt wurde wieder aufgebaut. Das schönste und auffälligste Gebäude des neuen Hammerfest ist zweifellos die St. Michaelskirche. Mit Hilfe von deutschen Freiwilligen erbaut, bietet sie 500 Menschen Platz. An der in Dreiecksform gehaltene Rückwand, ersetzt ein leuchtendes Glasmosaik aus 10.000 Teilen das Altarbild. Unter diesem Glasmosaik mit St. Michael und dem Drachen, ein Steinmosaik aus norwegischem Naturstein. Es zeigt Bilder vom Einzug in Jerusalem bis zur Kreuzigung. Glasbilder, welche die beiden Seitenwände mit weiteren christlichen Motiven schmücken, zaubern eindrucksvolle Lichteffekte. Der Besuch dieser Kirche, vom Hurtigrutenkai benötigt man keine 10 Fußminuten, ist für den Gast in der nördlichsten Stadt der Welt ein unbedingtes Muss.
Eine weitere Sehenswürdigkeit ist das Museum des Eisbären-Clubs. Jeder Besucher ist als Mitglied im Club herzlich willkommen. Bei schönem Wetter ist vielleicht der Weg zum 80 m hoch gelegenen Aussichtspunkt Salen lohnender. Das dort oben gelegene Restaurant weist einem den Weg. Eine knappe viertel Stunde sollte für den Aufstieg genügen.
Auf der kleinen Landzunge Fulgenes, die auf der anderen Seite der Bucht liegt, befindet sich der Meridianstein. Dieser Stein erinnert an das große, geodätische Vermessungsprojekt durch Russland, Schweden und Norwegen von 1816 bis 1852, bei dem Form und Größe der Erdkugel bestimmt wurden. Ein Abstecher dorthin, wird aber meist aus Zeitmangel entfallen.
Heißt es in Hammerfest wieder "Leinen los", dürften die voran gegangenen Aktivitäten für Hunger gesorgt haben. Also schnurstracks ans Mittagsbuffet und dann wieder an Deck oder in den Panoramasalon, damit man nichts versäumt. Denn die Landschaft bis Tromsö gehört mit zum Feinsten der gesamten Reise.
Bis Öksfjord, dem nächsten Hafen, wird der Kurs flankiert von den Inseln Söröya, Seiland und Stjernöya. Die langgestreckte Söröya auf der Steuerbordseite ist die viertgrößte Insel Norwegens; Während des letzten Krieges versteckten sich 1.000 Menschen in Felsenhöhlen vor der deutschen Besatzungsmacht. Sie weigerten sich trotz angeordneter Massenevakuierung, die Insel zu verlassen. Die Lebensbedingungen in den Höhlen wurden aber immer katastrophaler. Unter gefährlichen Umständen gelingt es dann im Januar 1945 mit norwegischen und englischen Schiffen die Menschen teils in den bereits befreiten Teil Norwegens und nach England zu bringen. Die Insel war bereits in der Steinzeit besiedelt. Heute liegen die meisten Siedlungen auf der Südseite. Die drei größten Fischerdörfer kommen zusammen auf etwa 1.500 Einwohner.
Auf der Backbordseite sieht man Seiland mit den beiden vereisten Gipfeln des Nordmannsjökulen (1.075 m) und Seilandsjökulen (981 m); Auf dieser Insel wohnen im Sommer Kautokeino-Samen mit ihren Rentieren. Weiter südlich, durch einen Sund von Seiland getrennt, liegt Stjernöya. Hier gibt es mit Nephelinsyenit einen ganz besonderen Rohstoff. Etwa 230.000 Tonnen werden im Jahr gefördert. Nephelinsyenit dient u. a. als Rohstoff für die Glasherstellung.
In Fahrtrichtung rückt die Halbinsel Loppa und backbords die Einfahrt in den Öksfjord immer näher. Im vorderen Teil des Fjordes liegt der gleichnamige Ort. Mit seinen 800 Einwohnern ist er vom Fischfang und der fischverarbeitenden Industrie geprägt. Auf der anderen Seite des Fjordes sieht man den Öksfjordjökulen, 1204 m hoch und Norwegens fünftgrößter Gletscher.
Hier in Öksfjord wurde die Schriftstellerin Marie Corelli zu ihrem Roman "Thelma" oder die "norwegische Prinzessin" inspiriert. Grundlage dieses Romans ist die wahre Geschichte des Mädchens Philippa aus Öksfjord. Als Philippa 17 Jahre alt war, besuchte ein junger englischer Seeoffizier mit seiner Jacht die Finnmark. Beide lernen sich kennen, verlieben und verloben sich. Kurze Zeit später musste der junge Mann seine Braut jedoch wieder verlassen. Die jungen Leute halten aus und bleiben sich treu. Nach fünf Jahren kehrt der Verlobte zurück, heiratet Philippa und nimmt sie mit nach London, wo beide ihr Glück finden.
Die weitere Fahrt des Schnelldampfers wird nun backbords von den mächtigen Gipfeln der wild zerklüfteten Halbinsel Loppa flankiert. Wird deren Nordspitze umfahren, gilt es die gleichnamige, offene Meeresstrecke zu bewältigen. Der Name Loppa (Floh), stammt von einer kleinen Insel, die bald auf der Steuerbordseite passiert wird. Bis 1890 war diese Insel zuvor 30 Jahre lang in englischem Besitz. Auf Grund eines sprachlichen Missverständnisses wurde die Insel an einen englischer Jäger verkauft, der eigentlich nur die Jagdrechte pachten wollte.
Mit dem Passieren des westlichsten Punktes der Halbinsel Loppa verlässt die Hurtigrute die Provinz Finnmark und nimmt Kurs auf Skjervöy. Das Festland dahinter bietet mit seiner grandiosen Bergkulisse einen Anblick der seinesgleichen sucht. Der Fischerort Skjervöy hat heute 2.300 Einwohner. Er liegt ausgesprochen günstig an der Fahrrinne zwischen Tromsö und der Finnmark und hat als Handelsplatz eine lange Tradition. Im 17. Jahrhundert residierte hier der Kaufmann Christen Michelsen Heggelund. Seine nicht so ganz zimperlichen Geschäftsmethoden verhalfen ihm, in einem Gedicht von Peter Dass verewigt zu werden.
Im August 1896 wurden in Skjervöy Schlagzeilen geschrieben. Eine Woche nachdem Nansen und Johansen in Vardö angekommen waren (siehe auch Tag 7), kehrte nun auch das mit Bangen erwartete Polarschiff "Fram" nach drei Jahren Nordpolexpedition in die Heimat zurück.
Auf der weiteren Fahrt bis Trömsö begleitet uns eine traumhaft schönen Küstenlandschaft. Zahlreiche Inseln säumen die Fahrrinne und im Osten blickt man auf die beeindruckende Bergwelt des Lyngengebirges (siehe auch Tag 5). Ob auf einer Sommer oder Winterreise, niemand sollte an diesem Abend ins Bett gehen, bevor Tromsö erreicht wird.
In den Sommermonaten, schönes Wetter vorausgesetzt, taucht die Mitternachtssonne die Berge rechts und links der Fahrrinne in ihr warmes Licht. Aber auch im Winter kann man auf seine Kosten kommen. Denn nirgendwo hat eine Winternacht so viel Licht wie unter einem sternenklaren Himmel im hohen Norden. Eine seltsame Stimmung liegt über dem lichten Dunkel der weißen Landschaft, und manchmal hat man das Gefühl, nicht die Himmelskörper sind Urheber dieses Lichts, sondern das Leuchten kommt aus der Landschaft selbst. Wie ein bewegter Scherenschnitt ziehen Inseln und Berge vor dem dunklen Hintergrund des Himmels am Schnelldampfer vorbei, bis einen das Lichtermeer der Vororte von Tromsö empfängt. Kurz vor Mitternacht wird der Hafen erreicht.
Und nun stelle man sich vor, es ist der 31. Dezember. Silvesternacht! Es scheint, als wäre ganz Tromsö auf den Beinen um das neue Jahr zu begrüßen. Die Hurtigrute wird empfangen von einem farbenprächtigen Feuerwerk. Der Lärm explodierender Feuerwerkskörper hallt übers Wassers und wird von den umliegenden Bergen zurückgeworfen. Auch der Schnelldampfer begrüßt das neue Jahr, sein ohrenbetäubendes Getute vermischt sich mit dem Lärm, den die im Hafen liegende Schiffe veranstalten. Welch ein Erlebnis das neue Jahr zu begrüßen.
Doch auch eine "normale" Nacht hat ihren Reiz. Manches Mitglied der Mannschaft "schmeißt sich in Schale" und stürzt sich ins Tromsöer Nachtleben. Also nichts wie hinter her, denn Kneipen und Nachtclubs gibt es zur Genüge; Nicht umsonst wird Tromsö auch als "Paris des Nordens" bezeichnet. Aber aufpassen und nichts übertreiben, denn schon um 1:30 Uhr macht sich die Hurtigrute wieder auf den Weg.
Wem am Nachtleben aber absolut nichts liegt, der wird vielleicht Freude an einem mitternächtlichen Ausflug haben, der vom 1. Juni bis zum 31. Juli angeboten wird. In diesem Zeitraum gibt es in der Eismeerkathedrale ein einzigartiges, nächtliches Mittsommerkonzert mit norwegischer Folklore und klassischen Stücken. So oder so, viel Spaß und gute Nacht!
Manfreds Reisetagebuch
Dienstag, den 10. März 1992
Die Fahnen an Bord wehen seit Hammerfest auf Halbmast. Dieter ist tot!
Herzinfarkt kurz vor der Ankunft in Hammerfest. Notarzt und Rettungswagen stehen bereits am Kai als die Midnatsol anlegt. Aber es ist zu spät...
Mittwoch, den 11. September 1996
Hochzeitstag! Schöner hätte der 25. nicht sein können. Im wahrsten Sinne des Wortes gab es auch ein "Geschenk des Himmels": Polarlicht! Unglaublich! Aber der Reihe nach.
Beim Frühstück, damit keiner was merkt, ein stummer Händedruck von Ise und Claus. Sie platzieren am Tisch eine kleine 25. Wir schieben sie so, dass sie nicht gleich jeder sehen kann. Die rheinischen Frohnaturen, die wie üblich etwas später auftauchen, haben jedenfalls nix gemerkt.
In Hammerfest besuchen wir natürlich die Kirche. Nachdem die anderen Rundreisepassagiere verschwunden sind sind wir alleine. Meine Gedanken gehen auch zurück an Dieter, für den hier in Hammerfest 1992 die Reise jäh zu Ende war.
Beim Abendessen lassen wir, zur Feier des Tages, Wein auf den Tisch stellen. So ganz geschickt war diese Aktion aber nicht. Die rheinische Frohnatur ist total misstrauisch. Sie will nicht einsehen, warum ein Schwabe einfach nur so Wein auf den Tisch stellen lässt. Als wir aber glaubhaft versichern, dass wirklich niemand von uns Geburtstag hat, was ja auch stimmt, beruhigt sie sich ein bisschen. Aber sie beäugt uns weiter misstrauisch.
Das Essen ist fast schon gelaufen, als Turid beim Tisch abräumen die 25 ganz unbeabsichtigt (wer's glaubt) offen legt. Bevor wir reagieren können ist es zu spät. Rheinisch Frohnatur hat sofort geschnallt wo's lang geht. Wie der Blitz ist sie beim Reiseleiter auf der anderen Seite des Speisesaals. Wir versuchen ihm über die Entfernung zu signalisieren ja keinen Aufstand zu machen, aber es hilft nichts. So schnell kann man gar nicht gucken, ruck zuck steht eine Flasche Sekt auf dem Tisch.
Der Reiseleiter, von Frohnatur total in die Enge getrieben, greift zum Mikrofon und hat nichts Besseres zu tun als uns als das Silberhochzeitspaar zu präsentieren. Mann ist uns das peinlich! Dann folgt das unvermeidliche "Hoch soll'n se leben...". Aber als Frohnatur zusammen mit Ehemann weiter macht mit "Kinder soll'n se kriegen...", drücken wir ihnen schnell ein Glas Sekt in die Hand. Morgen werden wir mit Turid ein "Hühnchen rupfen".
Nach dem Essen sitzen wir noch zusammen in der Bar, Turid spielt am Piano. So gegen 22:00 Uhr dann die Durchsage: Polarlicht! Kurze Zeit später stehen wir warm angezogen an Deck und erleben das Polarlicht. Fast eine Stunde lang dauert das Schauspiel. Es ist mit das Schönste, was wir je in unserem Leben gesehen haben. Die besten Bilder und Filme zeigen nur einen traurigen Abklatsch dessen, was sich in Natura am Himmel abspielt.
Riesige wallende und in unbeschreiblichen Farben leuchtende Vorhänge fallen vom Himmel, verharren vielleicht für einen kurzen Moment, verschwinden in rasender Geschwindigkeit im Nichts und tauchen an anderer Stelle wieder auf. Dazwischen spannen sich Kaskaden von bunten Bändern über das Firmament. Auch sie sind in ständiger Bewegung, verschwindend und plötzlich wieder da. Auf einmal grau, wie rasend schnell ziehende dünne Wolken, dann plötzlich wieder schillernd in allen erdenklichen Farben. Es ist sinnlos, Polarlicht kann man (ich) nicht beschreiben. Als das Schauspiel zu Ende ist, empfängt uns das Lichtermeer von Tromsö.
Dienstag, den 15. Februar 2000
Ein traumhaft schöner Tag. Von Sonnenaufgang bis Havöysund liegt Morgenrot über der verschneiten Landschaft. Den restlichen Tag werden wir weiter von der Sonne verwöhnt, es ist allerdings bitter kalt. An Deck tut man sich schwer einen windgeschützten Platz zu finden. Überall zieht es um die Ecken. Ohne die wärmsten Klamotten, lange Unterwäsche und die Mütze tief über die Ohren gezogen hält man es nicht aus. Nach kurzer Zeit muss man von Deck um sich aufzuwärmen.
Am Abend Polarlicht. Alle Passagiere sind natürlich an Deck. Für jemand der das Schauspiel zum ersten Mal sieht, ist die Vorstellung nicht schlecht. Aber es ist kein Vergleich mit 1996. Es fehlen die Farben. Als sich nichts mehr tut, zieht es fast alle ins Warme zurück. Nur die liebenswerte alte Dame aus Duisburg und ich bleiben an Deck, in der Hoffnung das Nordlicht kehrt zurück. Wir beiden sind ohnehin die Rekordhalter im Deckaufenthalt. Trifft man sich, dann zeigen ihr Lächeln und ihre leuchtenden Augen wie sehr sie diese Reise trotz ihrer schweren Krankheit genießt.
In einer windgeschützten Ecke können wir uns nicht losreißen von der verschneiten, leuchtenden Küstenlandschaft und dem klaren Sternenhimmel. Wir erzählen ein bisschen miteinander. Ich vom fantastischen Polarlicht am 25. Hochzeitstag 1996 auf demselben Streckenabschnitt, sie von ihrem Mann, der wegen Krankheit kurzfristig zu Hause bleiben musste. Weil sie gefahren ist, hat sie jetzt natürlich ein schlechtes Gewissen.
Mit den ersten Lichtern von Tromsö wird es nun aber auch uns zu kalt. Die alte Dame macht sich auf den Weg ins Bett. In Tromsö angekommen mache ich noch einige Nachtaufnahmen. Durchgefroren und müde liege ich schon vor dem Ablegen in der Koje.
Donnerstag, den 1. April 2004
Leichter Schneefall begleitet die Fahrt von Honningsvag bis Havösund. Danach reißt der Himmel auf. Begegnung mit der nordgehenden Kong Harald schon bei Sonnenschein, bis Hammerfest keine Wolke mehr am Himmel!
In Hammerfest steht für Claus und Ruedi ein Stadtbummel auf dem Programm, ich mache mich auf den Weg zum 80 m hohen Hausberg Salen. Möchte bei diesem Wetter unbedingt von dort oben fotografieren. Der schneebedeckte Serpentinenweg ist höllisch glatt, man muss mächtig aufpassen. Am Geländer ziehe ich mich nach oben; Etwa auf halber Strecke verschwindet das Geländer im Schnee. Ich schlage Stufen in den festgepressten Schnee, aber nach einigen Metern ist mir die Sache zu gefaehrlich. Habe auch so einen schönen Blick über Hammerfest und die Inseln draußen im Meer.
Beim Abstieg passiert es dann. In der letzten Kehre rutsche ich aus und donnere mit meiner Brust an die Stange des Eisengeländers! Mir wird schlagartig schlecht, ich spüre wie mir alle Farbe aus dem Gesicht weicht. Die Schmerzen sind höllisch, ich kann kaum atmen. Als Nächstes kommt mir der Gedanke: Das warss, für dich ist hier die Hurtigrutenreise zu Ende. Die nächsten Tage kannst du das norwegische Gesundheitssystem kennenlernen. Langsam bekomme ich die aufsteigende Panik in den Griff. So dick wie ich mit Klamotten eingepackt bin kann eigentlich nichts gebrochen sein. Jetzt also erst einmal langsam und flach atmen um die Schmerzen so gut es geht fern zu halten. Nach und nach wird es besser und ich kann langsam den restlichen Weg in Angriff nehmen.
In der Stadt treffe ich Ruedi und Claus, bei meinem Anblick sind sie etwas geschockt. Anscheinend sehe ich aus wie der Tod. Da sie Angst haben, dass ich aus den Latschen kippe, begleiten sie mich den restlichen Weg zum Schiff. Bin nicht böse drum, denn mittlerweile ist mir wieder schlecht. In der Kabine nehme ich eine Aspirin und setze mich aufs Bett, hinlegen ist völlig unmöglich. Langsam wird es besser. Nach einiger Zeit knurrt sogar mein Magen und so mache mich auf den Weg zum Mittagessen. Das schlimmste scheint überstanden.
Von meinem Missgeschick abgesehen könnte der Tag nicht schöner sein, die tief verschneite Landschaft entlang der Fahrrinne zieht wie im Traum vorüber. In Öksfjord ist der Aufenthalt wie immer kurz, niemand von den Passagieren verlässt das Schiff, nur Ragnhild und die junge Hamburgerin – beide haben sich etwas angefreundet - joggen um die Lagerhallen am Kai. Kurz vor dem Ablegen werden sie von der Brücke aus mit der Schiffssirene an Bord zurückgetutet.
Nach dem Abendessen wird am Tisch unseres englischen Ehepaares eine Geburtstagstorte aufgetragen. Unser Senior an Bord wird 80. Ragnhild und Merete singen ein Ständchen. Die beiden haben wunderschöne Stimmen! Unsere beiden Engländer sind super lieb und goldig, sie immer quirlig unterwegs und er fotografiert mit seiner Pentax wie ein Weltmeister.
Bevor ich in die Koje gehe, nehme ich weil mein Brustkorb immer noch bei jeder unvorsichtigen Bewegung heftig schmerzt noch zwei Aspirin. Wenn es nichts nützt, dann wird es schon nichts schaden. Mal sehen was das für eine Nacht wird.
Weihnachten an Bord: Donnerstag, den 23. Dezember 2010
Eine unruhige Nacht mit ordentlich Seegang. Zwischen 9:00 und 9:30 beginnt es zu dämmern. Himmel ist stark bewölkt, aber so dann und wann erscheint der Mond in einer Wolkenlücke. Nach einem kurzer Aufenthalt von 15 Minuten zum Be- und Entladen von Fracht legt die Polarlys pünktlich um 8:30 Uhr in Havösund ab, nächster Hafen ist Hammerfest. Dazwischen Begegnung mit der nordgehenden Hurtigrute MS Midnatsol. Mache einige Langzeitaufnahmen. Das Ergebnis ist nicht umwerfend, aber ein oder zwei Bilder sind ganz brauchbar.
Als wir bei der Anfahrt auf Hammerfest das Gasterminal auf der Insel Milköy passieren, gibt es in der Bar auf Deck 7 sinnigerweise einen „Energiekaffee“ und Schokolade bzw. Pralinen. Eigentlich sollte diese „Animation“ draußen stattfinden, aber offensichtlich war es einigen zu kalt. Dabei zeigt das Thermometer nur -3°C.
Ankunft in Hammerfest um 11:15 Uhr. Die 90 Minuten Aufenthalt in der Stadt nutzt Ute zu einem Stadtbummel, mich zieht es auf die andere Seite des Hafens in Richtung Gasterminal. Mache von dort aus einige Bilder von der Nordlys vor dem Hintergrund der Stadtansicht mit dem Hausberg Salen. Dort habe ich mir - Opfer meiner „Fotowut“ - am 1. April 2004 eine verdammt schmerzhafte Rippenprellung eingehandelt.
Nach dem Mittagsbuffet steht das Einstudieren von Weihnachtsliedern auf dem Programm. Liederbücher mit Weihnachtsliedern in Englisch, Norwegisch und Deutsch werden ausgeteilt. Reiseleiter, Kapitän und noch einige Besatzungsmitglieder sind mit dabei. Musikalisch werden wir von unseren Musikerinnen begleitet.
Die meisten Lieder werden in Englisch gesungen. Wir versuchen uns aber auch an norwegischen Texten. Die ganze Sache klingt nicht schlecht, besonders bei den Engländern fallen wieder schöne Stimmen auf. Letztes Probenlied ist Stille Nacht, heilige Nacht. Jeder singt es in seiner Heimatsprache. Hört sich sehr schön an.
Anschließend ist Basteln von Weihnachtsschmuck und das Schmücken des offiziellen Bordweihnachtsbaumes auf Deck 4 angesagt. Aber da verdrücken wir uns, Basteln ist nicht unser Ding. Seit dem Ablegen in Hammerfest ist der Himmel wieder vollkommen Bedeckt. Somit ohne Mondschein auch (fast) keine Küstenlandschaft zu sehen. Nach dem Abendessen läuft im norwegischen Fernsehen "Dinner for one". Das schauen wir uns auf der großen Leinwand im Konferenzraum an.
Nach der Ankunft in Tromsö Besuch des Mitternachtskonzertes in die Eismeerkathedrale. Der Jahreszeit entsprechend stehen natürlich Weihnachtslieder auf dem Programm. Eine Sopranistin wird von Querflöte und Orgel, bzw. am Flügel begleitet. Dazwischen singt die Flötisten einen samischen Joik. Fantastisch! Das ganze Konzert eine wunderbare Einstimmung auf das Weihnachtsfest. Mit 375 NKr. (50 Euro) pro Person nicht ganz billig, aber die Sache war es auf jeden Fall wert.
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Autor: Manfred Hofmann; Copyright: Patrick Wagner, www.urlaube.info
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