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Tiwanaku und das berühmte Sonnentor

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Haben wir den gestrigen Tag mit der eindrucksvollen Wanderung durch den Palca Canyon in einer recht wilden und bergigen Landschaft verbracht, so steht uns heute eine Fahrt über das flache Altiplano zu den Ruinen von Tiwanaku bevor. Fast jeder, der eine Reise nach Bolivien durchführt bzw. sich näher mit dem Land beschäftigt, wird auf den Namen Tiwanaku stoßen. Diese Ruinen, die etwa 70km von La Paz entfernt liegen, sind die wichtigste präkolumbische Kulurstätte Boliviens, und neben Macchu Picchu in Peru, ganz Südamerikas. Zudem sind sie von der UNESCO ins Weltkulturerbe aufgenommen worden. Also für Kulturinteressierte wie auch für uns ein unbedingtes Muss!

Karte von Bolivien; Vergrößerung per Mausklick

Wie schon bei der gestrigen Wanderung empfiehlt sich die Buchung des halbtägigen Ausflugs bei einer Agentur, der Preis dafür liegt mit Eintritt bei etwa 25 Euro; Wir selbst waren wieder mit Magri-Turismo unterwegs, wobei wir nicht nach La Paz zurückgekehrt sind, sondern anschließend zum höchstgelegen schiffbaren See der Welt, dem Titicacasee, und nach Copacabana weiter gefahren sind. Man sollte auf jeden Fall einen kompetenten Kulturführer dabei haben, der einem die etwas undurchsichtige Tiwanaku-Kultur näher bringt und erklärt. Wir hatten mit userem Erich Hochhäuser da einen richtigen Trumpf im Ärmel! Alternativ kann man auch ein Taxi mieten, das hin und zurück etwa 50 Euro kostet, aber man muss dann ohne die Erklärungen eines "Insiders" auskommen.

Fahrt über das Altiplano nach Tiwanaku

Nach einem leckeren und ausgiebigen Frühstück verladen wir unser ganzes Gepäck im Bus, denn für gut eine Woche werden wir nicht mehr nach La Paz zurückkehren. Auf bekanntem Weg fahren wir die Hauptstraße bis nach El Alto hinauf. Dort herrscht morgens um halb acht auf den Straßen schon Hochbetrieb.

Ein typischer kleiner Bauernhof aus Lehm und Stroh Vereinzelte Eukalyptusbäume in der Weite des Altiplanos

Taxibusse wieder so weit das Auge reicht, es wird gehupt, gedrängelt, auch bei rot über die Ampel gefahren; als Fußgänger hätte man hier schlechte Karten! Doch lassen wir dieses Gedränge hinter uns und fahren auf einer gut geteerten Straße westwärts hinaus aufs weite Altiplano; Anfangs sind am Straßenrand noch vereinzelte Häuser zu sehen, danach nur noch die ewige Weite des bolivianischen Hochlands. In dieser windgepeitschten Ödnis wachsen vereinzelt ein paar Eukalyptusbäume, ansonsten überwiegt das zu dieser Jahreszeit gelblich-braune Icchugras. Aber ab und zu können wir einen aus Lehm erbauten Bauernhof mit Strohdach und davor grasendem Vieh erblicken. Schon beeindruckend, durch so eine unendliche Weite ohne starke Besiedlung zu fahren. Man könnte sich fast wie in den USA fühlen, mit einer Harley auf der Route 66, doch halt, wir sind hier in Bolivien auf fast 4000m, und wir sitzen nicht auf einem Motorrad, sondern vor dem kalten Wind geschützt in einem Kleinbus!

Was war überhaupt Tiwanaku?

Nach gut 70km und einer Fahrzeit von etwa eineinhalb Stunden erreichen wir endlich unser Ziel, die geheimnisumweiterten Ruinen von Tiwanaku. Bevor wir aber durchs Museum und über das Gelände gehen, zuerst einmal ein paar grundlegende Fakten über diese Sehenswürdigkeit. Das Wort Tiwanaku (auch Tiahuanaco) beschreibt sowohl einen Ort als auch eine ganze Kultur, die in der Zeit von 1500 v. Chr. bis etwa 1200 n. Chr. bestand. Manche Archäologen gehen sogar bis ins Jahr 10000 v. Chr. zurück, doch Jahreszahlen bezogen auf die Tiwanaku-Kultur sind sehr unsicher, da es keinerlei Schrifstücke aus dieser Zeit gibt und alles mehr oder weniger nur Vermutungen sind. Wahrscheinlich entwickelte sie sich aus der Kultur von Huari, einer altperuanischen Kultur, und auch Einflüsse aus der noch älteren Chavin Kultur lassen sich nachweisen. In der Blütezeit reichte der Einfluss Tiwanakus im Norden bis nach Peru, im Süden bis zum chilenischen Atacamagebiet und nach Argentinien, selbst an der Pazifikküste läßt sie sich nachweisen. Sie war so gewichtig, dass alle darauffolgenden Kulturen dadurch beeinflusst werden sollten.

Feinste Steinmetzarbeiten sind typisch für die Kultur von Tiwanaku, hier im Templete Semisubterráneo

Doch was war hier wirklich? Die Hauptstadt eines Reiches? Zeremonielles Kulturzentrum? Ein Wallfahrtsort? Vermutlich handelt es sich hierbei um eine Tempel- und Handelsstadt mit einer Fläche von zehn Quadratkilometern und mit etwa 50.000 Einwohnern. Sogar einen Hafen soll die Stadt besessen haben, doch wie ist das möglich? Der Titicacasee liegt etwa 20km von Tiwanaku entfernt! Früher muss also der See um einiges größer als heute gewesen sein. Bekannt ist Tiwanaku vor allem für seine aussergewöhnlich präzisen Steinmetzarbeiten, wofür bis zu 130 Tonnen schwere Diorit- und Andesitblöcke aus einem etwa 20km entfernten Steinbruch herangeschafft wurden. Wie das geschah, bleibt ein großes Raetsel in Anbetracht der Tatsache, dass in der Tiwanaku-Kultur das Rad anscheinend unbekannt war! Und auch mit welchen Werkzeugen gearbeitet wurde, denn besagte Gesteine sind mit die Härtesten, die es gibt.

Zugrunde gegangen sein dürfte die Tiwanaku-Kultur wegen mehrerer schweren Dürreperioden, die keinen Ackerbau mehr zuließen und eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet war. Auch eine gewaltige Sintflut oder Erdbeben könnten zum Ende von Tiwanaku geführt haben. Dass von Tiwanaku überhaupt noch etwas zu sehen ist, ist dem österreichischen Ingenieur Arthur Posnansky zu verdanken, dessen Lebenswerk die Ausgrabung und Erforschung der Stadt war. Diese Grundlagen sollten voerst genügen, um unseren Museumsbesuch und Rundgang über das Gelände beginnen zu können. Bei den einzelnen Prunkstücken Tiwanakus wird jeweils noch etwas näher darauf eingegangen. Anzumerken sei noch, dass von der ganzen Stadt bis jetzt nur kleiner Teil freigelegt ist und mit weiteren Ausgrabungsarbeiten in nächster Zeit durchaus mit neuen Erkenntnissen über Tiwanaku zu rechnen ist.

Museum und Rundgang durch Tiwanaku

Wir steigen aus dem Bus aus und ziehen sofort unsere warmen Fleecejacken an, denn trotz Sonnenschein und kurzem Weg vom Parkplatz bis zum Museum, bläst uns ein kalter Wind entgegen. Erich besorgt die Eintrittskarten und wir betreten das Museumsgebäude. Highlight dieses Museums ist ohne Frage der Riesenmonolith "Bennet", der etwa zehn Meter hoch ist und an die 20 Tonnen wiegt.

Exakt behauene und aufeinander gesetzte Steine sind ebenfalls typisch für Tiwanaku

Desweiteren sind in den Ausstellungsräumen vor allem Ausgrabungsstücke zu sehen: Ton- und Keramikgefäße, Steinfiguren in unterschiedlichen Größen, Schmuck, Grabbeigaben und weitere Gegenstände aus der Tiwanaku-Kultur. Die zahlreichen Erklärungen dazu sind auch in Englisch verfaßt, so dass derjenige, der dem Spanischen nicht mächtig ist, trotzdem viele weitere Informationen über diese faszinierende Kultur erhält. So erfährt man zum Beispiel, dass die Bewohner von Tiwanaku bereits die genaue Dauer eines Jahres errechnet haben, nämlich nicht 365 Tage, sondern genau 365,25 Tage, und wir deswegen in unserem Kalender auch jedes vierte Jahr ein Schaltjahr haben. Leider ist im Museum das Fotografieren nicht erlaubt und es gibt daher auch keine Fotos aus den Ausstellungsräumen. Aber das ist halb so schlimm, denn die wahren Prunkstücke von Tiwanaku sind im Freien auf dem Gelände zu besichtigen.

Auf dem Akapana, gut zu erkennen die magischen Steine

Wir verlassen das Museum und erreichen nach Überquerung einer kleinen Straße das Eingangstor zum Außengelände. Kurz danach kommen wir schon zur ersten Ausgrabungsstelle, wo die Grundmauern eines Gebäudes zu erkennen sind. Beeindruckend ist wie genau die Steine behauen und aufeinander gesetzt sind, und das in Anbetracht der damals wahrscheinlich sehr primitiven Werkzeuge! Gleich dahinter führt ein Weg hinauf auf einen etwa 15m hohen tempelartigen Hügel, dem Akapana. Von dort oben hat man einen guten Überblick über die ganze Anlage von Tiwanaku. Vermutlich war hier neben einem Tempel ein Observatorium, doch außer ein paar in die Höhe stehenden Steinen ist nicht mehr viel zu sehen. Doch diese Steine haben es in sich: Wir trauen unseren Augen nicht, als Erich einen Kompass aus seiner Tasche nimmt, ihn über einen der Steine hält und die Kompassnadel beginnt, sich wie verrückt zu drehen; Gut, denken wir, wahrscheinlich besteht der Stein aus magnetischen Mineralien und bringt so die Nadel durcheinander. Doch Erich erklärt uns, dass diese Steine nachweislich keine derartigen Bestandteile beinhalten, und man weiß bis heute nicht, was der Grund für dieses Phänomen ist; Ein wahrlich magischer Ort, der uns in seinen Bann zieht!

Die nachgebaute Außenmauer der Kalasasaya, gut zu erkennen auch einer der originalen Andesitpfeiler

Auf der anderen Seite des Akapana führt der Weg hinunter zum 26x29m großen und zwei Meter tief in den Boden gegrabenen Templete Semisubteráneo. In die Wände des Tempels sind 175 aus Kalk- und Tuffstein gearbeitete Köpfe eingelassen, die erneut eindrucksvoll die hohe Steinmetzkunst der Tiwanaku-Kultur zeigen. Jene Steinköpfe findet man auch in Peru bei der sogenannten Chavín-Kultur, und es wird vermutet, dass Tiwanaku eventuell aus dieser Kultur hervor gegangen sein könnte. Beeindruckt verlassen wir über eine Treppe diesen Ort und gelangen nach rechts ins eigentliche Zentrum von Tiwanaku, die Kalasasaya.

Der Monolith Ponce misst 7,5m

Hier war höchstwahrscheinlich eine tempelartige Sonnenwarte mit gewaltigen Ausmaßen von 128x118m, erbaut aus vielen Tausenden von Sandsteinen (diese sind nicht mehr original, sie wurden nach der Ausgrabung rekonstruiert) und dazwischen mit Steinblockpfeilern aus Andesit, die heute noch in ihrer ursprünglichen Lage stehen. Der Name Kalasasaya bedeutet übersetzt soviel wie "stehende Steine", gemeint sind damit die Riesenmonolithen, die hier gefunden wurden. Zu sehen sind noch der bereits etwas verwitterte Fraile-Monoltith und der sehr gut erhaltene Ponce-Monolith. Wahrscheinlich stellen diese bis zu 7,5m hohen anthropomorphen (menschengestaltigen) Bildsäulen Götter mit menschlichen Gesichtern und Kultgegegenständen in den Händen dar. Wieder sind an deren Oberfläche kunstvolle und präzise Reliefbearbeitungen zu sehen. Ich war davon so fasziniert, dass ich sogar einen Monolithen mit nach Hause nahm: Natürlich als transportierbare Miniaturausgabe, denn "kleine" Ponces und Frailes sind als Touristensouvenir in den unterschiedlichsten Größen überaus beliebt. Sind diese Monolithen schon sehr berühmt, so sehen wir im nordwestlichen Bereich der Kalasasaya schon den eigentlichen Höhepunkt, das Glanzstück, das Wahrzeichen Tiwanakus: Das "Intipunku", das Sonnentor.

Intipunku - Das Sonnentor von Tiwanaku

Aus der Ferne betrachtet sieht man nur einen mehr oder weniger rechteckigen "Felsklotz" mit einer Türe ähnelnden Öffnung in der Mitte, und ich frage mich, was an diesem Klotz nun so besonders sein soll. Doch je näher ich komme, desto beeindruckter bin ich, und als ich dann vor dem 2,80m hohen, 3,80m breiten und über zehn Tonnen schweren Andesitblock stehe, komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Der untere Teil des Tores ist derart glatt, als wie wenn es mit einer Poliermaschine bearbeitet wurde. Im oberen Drittel,überhalb der Türöffnung, ist eine Figur zu erkennen. Dabei handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den Schöpfergott Wiracocha (und nicht wie früher vermutet den Sonnengott), aus dessen Kopf mehrere Strahlen mit Pumaköpfen entspringen, und aus dessen Augen Tränen als Zeichen des Regens, der Fruchtbarkeit, entspringen. Motive dieser Gottheit finden sich auf Textilien, Keramiken und Mumienhüllen in ganz Bolivien und auch in Peru.

Der Schöpfergott Wiracocha in der Mitte des Sonnentores, gut zu erkennen auch die Wiracocha-Diener

Umgeben wird der Gott von 48 kleinen Figuren mit Flügeln, den sogenannten Wiracocha-Dienern, die von links und rechts auf ihn zulaufen. Anhand der Flügel am Rücken lässt sich vermuten, dass es sich hier ebenfalls um Götter handelt. Einige von ihnen wurden vom Steinmetz mit Vogelschnäbeln versehen, und besonders interessant ist die Ähnlichkeit mit Figuren aus Mesopotamien in Asien, obwohl sich keine Verbindung dorthin nachweisen lässt. Manche Archäologen deuten diese Anordnung als einen Kalender, mit dem Ergebnis von 12 Monaten und 365 Tage pro Jahr! Mit Hilfe dieses vorinkaischen Kalenders und der Ausrichtung des Tores zur Sonne konnten die Astronomen Tiwanakus auch eine ganze Reihe von astronomischen Daten ablesen. So waren sie in der Lage, an diesem Tor die Häufigkeit der Schalttage, die geographische Lage des Ortes, Sonnenwenden, Planetenbahnen, die Schiefe der Ekliptik und Sonnenfinsternisse in allen Teilen der Welt abzulesen! Somit schien ihnen tatsächlich bekannt gewesen zu sein, daß die Erde eine rotierende Kugel ist und sich um die Sonne dreht. Bemerkenswert ist auch noch, dass das Sonnentor in einem Stück behauen wurde, und so bei der Bearbeitung Schicht für Schicht abgetragen werden musste, und das in einer Präzision, die auch noch nach Jahrhunderten feinste Details erkennen lässt!

Intipuku - Das Sonnentor von Tiwanaku

Das Intipunku ist nach dem Untergang der Tiwanaku-Kultur umgestürzt und in zwei Teile zerbrochen, daher auch der Riss rechts der Mitte, 1908 wurde es aber dann wieder aufgerichtet. Tief beeindruckt folgen wir den Ausführungen Erichs und sind nahezu gefesselt, was es mit dem Sonnentor und der Kultur von Tiwanaku auf sich hat; Neben der Kalasasaya mit dem Sonnentor und dem Akapana gibt es noch einen dritten Bezirk, Pumapunku, den wir aber aus Zeitgründen, uns steht nämlich noch die Fahrt zum Titicacasee und eine Wanderung bevor, nicht mehr besuchen können. Erich erklärt uns noch, dass es sich hierbei um einen pyramidenartigen Hügel handelt, auf dem gewaltige Andesit- und Dioritblöcke mit bis zu 1000 Tonnen Gewicht kreuz und quer herumliegen. Dieses Durcheinander bestätigt die Theorie, dass das Ende von Tiwanaku durch eine gewaltige Naturkatastrophe besiegelt wurde.

Nach diesem sehr informativen Ausflug in die Geschichte der Tiwanaku-Kultur gehen wir wissensbegierig auf weitere kulturelle Höhepunkte Boliviens zurück zum Parkplatz und besteigen wieder unseren Kleinbus mit dem nächsten Ziel: Titicacasee!

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